Immer mehr Paare nutzen die Paartherapie, um ihre Beziehung zu retten. Bei der professionellen Paarberatung geht es nicht um die Schuldfrage, sondern um Perspektiven für eine gemeinsame Zukunft
Von Felix Arnet
Schon lange nervt es ihn, dass sie immer vergisst, die Türen zuzumachen. Er räumt mit Wut im Bauch ihre Sachen auf, die sie überall liegenlässt. Streit um Nichtigkeiten, Missverständnisse und Rückzug machen das gemeinsame Leben unerträglich. Dass es um viel mehr als um die kleinen Macken des Partners geht, wird ausgeblendet. Das Paar steckt mitten in einer tiefen Beziehungskrise.
Eine Lösungsmöglichkeit lautet Scheidung. Jedes Jahr entscheiden sich fast 200.000 Paare in Deutschland für diesen Schritt – Tendenz steigend. Aber auch immer mehr Paare nehmen die professionelle Hilfe eines Coachs in Anspruch, um ihre Beziehung zu retten. Aber was genau kann ein Berater leisten und was nicht? „Paar-Coaching kann die wertschätzende Kommunikation zwischen den Partnern wiederherstellen. Es erstaunt und freut mich immer wieder, wie schnell Paare durch die Anleitung erneut zueinanderfinden“, berichtet Felix Arnet, Paartherapeut aus Wiesbaden. Eine Garantie dafür gibt der Fachmann nicht, denn es kann sich während des Coachings ebenso herausstellen, dass die Beziehung ausklingt. Dann unterstützt Arnet das Paar dabei, eine konstruktive Bilanz zu ziehen und sich fair zu trennen.
Es geht nicht um Schuld
Doch um herauszufinden, wo man als Paar steht, ist es zunächst
wichtig, über seine Probleme und Ängste offen zu sprechen. Auch hierbei
unterstützt der Coach, denn genau das zählt zu den größten
Schwierigkeiten, die Paare während der Beratung haben, wie Arnet
bestätigt:
„Miteinander über die eigenen Bedürfnisse und die des Partners zu
reden, ohne sich in der Schuldfrage zu verstricken, ist anfangs für
viele Paare, eine große Herausforderung.“ Denn um Schuld geht es nicht,
sondern darum, gemeinsam neue Perspektiven und Strategien zu erarbeiten,
die das Paar auch nach der Beratung immer wieder anwenden kann.
Sowohl junge als auch alte Paare nehmen Unterstützung in Anspruch, mit unterschiedlichen Fragen. So wenden sich Paare um die 60 häufig an einen Coach, weil sie sich nicht sicher sind, ob sie die nächsten zwanzig Jahre gemeinsam verbringen wollen. „Oft kommen auch junge Paare, die nach vier bis sechs Jahren des Zusammenlebens feststellen, dass sich ihre gemeinsamen Werte verschoben haben oder diese nie vorhanden waren“, erläutert Arnet.
Welche Werte hat der Partner? Dies ist eine zentrale Frage des Wiesbadener Coachs, über die sich die wenigsten seiner Klienten Gedanken gemacht haben. Deswegen gehört es bei seinem Coaching dazu, dass die Partner ihre Werte für sich aufschreiben. „Auf der Schnittmenge baue ich mein Coaching auf“, sagt der 56-Jährige und führt weiter aus: „Paare, die sich nie mit ihren gemeinsamen Werten auseinandergesetzt haben, kleben oft viel zu stark aneinander, ohne sich wirklich nah zu sein. Sie lassen ihrem Partner nicht die notwendigen Freiräume und ersticken ihre Leidenschaft in zu großer Nähe.“
Sobald ein Paar sein Wertmodell harmonisiert hat, wieder wertschätzend miteinander redet und Lust auf die eigene Beziehung hat, kann Arnet seine Arbeit als Coach beenden. Eine Chance, dass die Beziehung auch nach der Beratung dauerhaft besteht, sieht er darin, wenn das Paar Konflikte nachhaltig löst. Dann ist die offen gelassene Zahnpastatube oder Tür keinen Streit mehr wert.